Tatsächlich sichtbare Anordnungen mit Bauklötzen boten anfangs den realen Widerstand, die Reibungsfläche und das notwendige Formpotential, das meine Phantasie bei der Entwicklung spannender bildnerischer Konzepte und der Umarbeitung zum materialen, zweidimensionalen Bild anregten. Ich legte mir mit Hilfe der Bauklötze eine Reihe verschiedener Formationen zurecht, die mir als Informationsgrundlage dienten, etwa um "Stilleben" oder "Landschaften" malerisch zu simulieren. So ordnete ich beispielsweise die Bauklötze in einer Ebene an, die von einer Lichtquelle beleuchtet wurde. Die Lichtquelle erzeugte klar erkennbare Schlagschatten. Durch geringfügige Verschiebung der vier Bauklötze auf der Ebene, durch Veränderung der Lichtquelle oder durch Veränderung des Betrachterstandpunkts ergaben sich eine Reihe von Einstellungen, die für interessante Überschneidungen aus "Hintergrund, "Schatten, "Bildgegenstand sorgten und damit spannungsreiche Bildvorlagen hervorbrachten. Später erstellte ich dann die Formationen, aus denen ich meine Kompositionen entwickelte, mit einem 3-D Konstruktionsprogramm, das es mir erlaubte, sowohl Strukturen, als auch Materialien, als auch Schattenwürfe zu generieren und zuzuweisen.
III.
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Das
Bildsystem "Bildbausatz setzt sich aus verschiedenen Grundkonzepten zusammen,
deren maßgeblicher Bestandteil die "SEQUENZENEN sind. So nenne ich die
Bildfolgen, bei denen sich jeder neue Bildzustand aus dem vorangegangenen ableitet. Die
Einzelresultate, die aus den Bildfolgen hervorgehen und als eigenständige Bilder bestehen
bleiben, bezeichne ich im weiteren als SINGULARS. Die SEQUENZEN und SINGULARS beinhalten,
beziehungsweise bilden ihrerseits eine Reihe von Subsystemen, die die Gesamtheit der
Bildnerischen Aspekte in Einzelteile aufgliedern oder zu Zusammenhängen zusammenfassen.
Was unter den einzelnen Teilen des Bildbausatzes zu verstehen ist, versuche ich
nachfolgend zu präzisieren:
Die Sequenzen Das Fundament und den Ausgangspunkt des Bildbausatzes bilden die
SEQUENZEN . Sie basieren auf der Idee, daß sich in einem Bild durch mehrmaligen Durchlauf
unter ähnlichen Voraussetzungen eine Bildaussage verdichten läßt oder aber sich auch
erst nach und nach herauskristallisieren kann. Die Einzelbilder SINGULARS
unterscheiden sich demnach in ihrem Entstehungsprozeß nicht grundsätzlich von den SEQUENZEN. Sie sind einfach die autonom funktionierenden und
materialhaft am Ende einer Sequenz vorhandenen Resultate. In den SEQUENZEN entwickelte ich
die Bilder von Iteration zu Iteration jeweils zu einem in meinen Augen gültigen Zustand
hin. Jeder Zustand sollte Pointierung des jeweiligen Ansatzes und als solcher möglichst
abgeschlossen sein. Jeder Zustand war auf seiner Ebene also auch gültiges Bild. Dann
brachte ich das System wieder in Bewegung. Jeden dieser gültigen Zustände dokumentierte
ich fotografisch. Jede längere Entstehungslinie wird zu einem System von Entscheidungen
an Verzweigungsstellen hunderte von möglichen Wegen wären denkbar. Der
Entstehungsprozess wird weitgehend vollständig durch Dokumentation der zum jeweiligen
Zeitpunkt verwendeten Farbmaterialien (Paletten) und möglichen Ausmischungen malerisch
begleitet. Über jeden Zustand gibt es detaillierte Aufzeichnungen über Zeitpunkt,
Paletten, Ausmischungen etc.
Dieser Vorgang der aufeinander aufbauenden Zustände entspricht dem, was ich in der
Malerei unter "Substanz schaffen.glaube verstanden zu haben und spiegelt
wieder, was den iterativen Charakter meines Bildsystems verkörpert. Dies auch unter
Berücksichtigung der Gefahr, daß das materialhaft vorhandene Endergebnis nicht immer und
zwangsläufig die bestmögliche Lösung verkörpert. Es läßt sich in der Regel eben erst
im nachhinein konstatieren, ob ein Zwischenergebnis vielleicht schon das
Zufriedenstellendste gewesen wäre. Es ist klar, daß bei den SEQUENZEN nur immer der
letzte Zustand als materiales Original sichtbar sein kann. Den bei der Dokumentation der
SEQUENZEN entstehenden Fotosatz verarbeite ich wie beispielsweise in den ANIMS (s. unten)
weiter und verstehe ich als vollwertige und eigenständige Arbeit.
Die Singulars Bei den SINGULARS entwickelte sich das Bild linear von Zustand zu
Zustand aussichtsreich weiter und konnte soweit verdichtet werden, daß ich mich
entschied, den zu diesem Zeitpunkt bestmöglichen Bildzustand als materiales Bild zu
erhalten. Das SINGULAR wäre sozusagen Gemälde im klassischen Sinn. Die SINGULARS
funktionieren oft sogar "al prima; nämlich dann, wenn sich eine
vielversprechende Bildlösung sehr bald abzeichnet. Teilweise kam es vor, daß die
Formationen vollkommen ins Gegenstandslose ausliefen und am Schluß nur noch der
Entwicklungsprozeß als stoffliche Substanz, als Farbkörper, spürbar blieb. Dies sind im
Wortsinn abstrakte oder abstrahierte Bilder.
Die Relicts Bei einigen SEQUENZEN stellte sich heraus, daß sich die
interessanteste Iterationsstufe und damit der qualitative Höhepunkt nicht wie bei den
SINGULARS am glücklichen Ende einer SEQUENZ, sondern irgendwo in der Mitte befand. Diese
Resultate, die die Endprodukte einer SEQUENZ darstellen, ohne dabei selbst zum
eigenständigen Bild geworden zu sein, erhalte ich in der Regel nicht, sondern speise sie
wieder in einen neuen Entstehungskreislauf ein.
Die vispats Die VISPATS sind Arbeiten -meist auf Papier- in denen verschiedenste
Ansätze durchprobiert und ausgeführt werden. Diesen Begriff verwende ich auch für
Kompositionsskizzen und Entwürfe. Die vispats sind vermutlich die spielerischsten und
freiesten Arbeiten im BILDBAUSATZ, weil ich hier alles ausprobiere, was sich auch nur im
weitesten mit Bauklötzen anstellen läßt. Mit ihnen trainiere ich Flexibilität, ohne
mir weitere Gedanken über ihre konzeptuelle Brauchbarkeit zu machen. Gerade deswegen
bringen sie mich oft auf Ideen für neue Konzepte.
Die anims Die ANIMS sind Animationen, also kleine Filme, in denen die geistigen Entwicklungsprozesse von einem tatsächlich existierenden und fotografisch dokumentierten Zustand einer SEQUENZ zum nächsten simuliert, verdeutlicht und veranschaulicht wurden. Die ANIMS sind Visualisierungen der "Filme und Überlegungen, die eigentlich nur in meinem Kopf ablaufen. Es handelt sich um relativ kurze Filmsequenzen, die am Rechner in Endlosschleifen ablaufen können. Ein weiterer Ansatz bei den ANIMS ist, Kombinationen von Entwürfen, Zeichnungen, Aquarellen, Gemälden undsoweiter derselben Komposition zu schaffen und damit sowohl ihre Zusammenhänge als auch ihre Unterschiede sichtbar zu machen. Zu den ANIMS zähle ich auch die Bildstreifen. Bei den Bildstreifen handelt es sich um aneinandergereihte Bilder, die durch Bildbearbeitungen am Rechner entstehen. Die Ausgabe erfolgt durch Ausbelichtung auf Photopapier oder durch verschiedene Printverfahren. Auf diese Weise kann ich die Entwicklungsprozesse in den Sequenzen und -weiterverarbeitet- in den Animationsfilmen auch auf einen Blick sichtbar machen. Die Erstellung verläuft möglichst so, daß Bildrhythmus und Bildfolge den Bildstreifen im ganzen zu einer eigenständigen Bildlösung zusammenfügen.
IV.
Trotz aller Systematisierungs- und Analyseansätze versuche ich natürlich nach wie vor Bilder zu malen. Ich verlangsame den bildnerischen Prozess nur ein wenig. Diese Verlangsamung erziele ich dadurch, daß ich an bestimmten kritischen Punkten innehalte und den Zustand photografisch, mit entsprechenden Begleitinformationen dokumentiere. So gelingt es mir, wie bei einer Zeitlupenfunktion gewisse "aussagekräftige" Einzelbilder "einzufrieren" um den Zustand analysieren und im Gedächtnis behalten zu können. Das hilft bei der Auswertung der eigenen Arbeit. Diese Bilder repräsentieren somit in gewisser Weise ein Netzwerk meiner Erinnerungen. Ich schließe mit folgender, auf die Evolution bezogenen Äußerung Calvins, die man problemlos auch der Tätigkeit kreativen Schaffens zuordnen kann: "Das, worauf es ankommt, ist der Tanz, den wir den Darwinschen Twostep nennen; ein ständiges Hin- und Herwechseln zwischen Zufälligkeit und Selektion, über viele Runden hinweg, wobei etwas entsteht, das immer weniger wie ein Zufall aussieht.(3)
(1) This quotation is from a newspaper report about the opening of an exhibit in the Morandi Museum mentioned above. Unfortunately I did not take down name or date of the paper.
(2) Ernst H. Gombrich. Meditation über ein
Steckenpferd [Meditations on a hobby-horse] (Suhrkamp Wissenschaft: Frankfurt, 1978) p.260;
(3) William H.Calvin. The
Cerebral Symphony.
The Quote in my original German text I took from the German edition Die Symphonie des
Denkens (Hanser: München, 1993) p.236.
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